29. Hamburg Marathon – Der Lauf

So, da war ich also, mittendrin UND dabei. Das Gefühl überwältigt mich auch jetzt noch wo ich hier sitze und darüber schreibe. Ein Traum ging endlich in Erfüllung. Angemeldet, gestartet und die Meter summierten sich langsam aber sicher zu Kilometern.

Ich hatte etwas Angst, dass ich mit Tank etwas zu kalt angezogen war. Es war bewölkt und hatte gerade mal so 9 Grad. Meine Angst war jedoch völlig unbegründet. Am Anfang war ich zu aufgeregt um es zu merken und dann auch schon warmgelaufen. Um ehrlich zu sein war es sogar optimal, denn wirklich zu warm war mir nie.

Ich lief und war begeistert und kämpfte bis zur Reeperbahn wirklich noch mit den Tränen vor Begeisterung und aufgewühlten Emotionen.

Auf der Reeperbahn wurde ich dann jedoch abgelenkt, weil ich meine Truppe suchte die mich anfeuern wollte. In etwa auf der Höhe der S-Bahn standen sie dann auch, deutlich zu hören und sorgten so für einen weiteren Schub an Energie.

Der Moment war kurz, denn es ging unaufhörlich weiter, aber es sind nicht immer nur die langen Momente die sich einprägen und etwas bewirken, manchmal genügen Sekunden.

Ich fühlte mich sehr gut und war auch vom Tempo her gut drauf. Ich lief ohne ein Korsett aus Zeit- und Erfolgsdruck das mich zu sehr einschränkte. Alles was ich halt schaffen wollte war es bis zu der 30 km-Marke zu schaffen. Alles danach war für mich Bonus. Denn ich war ja nicht wirklich gut vorbereitet. Ich denke diese innere „Sorgenfreiheit“ machte es mir auch deutlich leichter.

Sind wir ehrlich, es wird immer jemanden geben der schneller ist, mehr Wissen hat oder sonst wie Bereiche hat in denen er besser aufgestellt ist als man selbst. Das ist in allen Lebenslagen so und auch völlig normal und sollte uns nicht unter Druck setzen. Ganz besonders sollten wir uns nicht darüber ärgern. Das ist vergeudete Energie die wir nutzen sollten zu überlegen ob wir an der Situation etwas ändern sollten und wollen. Wenn ja die Energie weiter für eine Veränderung nutzen. Nicht für Neid und Wut, denn dadurch werden wir nie eigene Grenzen überschreiten.

Ich lief also weiter nach Altona, Othmarschen und auf die Elbchaussee. Dabei ging mir sehr viel durch den Kopf. Ich war verblüfft wie manche sich angezogen hatten, ich fragte mich manchmal ehrlich was einige im Winter anziehen beim Sport, fragte mich warum man unbedingt 2kg Getränke am Gürtel mitschleppen muss, freute mich über die Leute am Straßenrand die mich und alle anderen durch die eigene Begeisterung anfeuerten und trugen.

Was jedoch sehr wichtig ist, ich hatte auch immer ein offenes Ohr für mich und meinen Körper. Ich tat unbewusst das was ich gerade als einen Teil des ChiRunnings kennenlerne. Ich machte immer einen Bodyscan. Ich merkte also immer wie es mir ging und es ging mir sehr gut. Ich nahm die Verpflegungsstationen mit und ärgerte mich nur darüber das ich dort keinen Schwamm mehr abbekam.

Es ging weiter am Fischmarkt vorbei zu den Landungsbrücken, einem der großen Hotspots. Es war und ist unglaublich was sich auf dem Weg für Eindrücke einbrannten. Trommlergruppen, freudige Begegnungen von Läufern und ihren Vertrauten am Straßenrand, die von winken bis hin zu Umarmungen reichten. Von den unzähligen Schildern nicht zu reden. Es bleiben jedoch wieder die Sekundenmomente, vieles bleibt ein Rausch an Farben, Lauten und Emotionen und genau das reicht auch. Denn man ist doch weiterhin mit sich beschäftigt als Hauptaufgabe.

Von den Landungsbrücken ging es weiter zu den Deichtorhallen und dort in den Tunnel zur Alster runter. War ich erst noch froh nicht zum Hauptbahnhof hochlaufen zu müssen, fragte ich mich alsbald wer eigentlich auf die Idee kommt eine der vielen Messstationen auf der Strecke, die Zeit wird ja nun nicht mehr von netten Menschen mit Stoppuhr gemessen, was ja irgendwie charmant wäre, aber anhand der doch etwas größeren Menge an Läufern nicht funktioniert, in den Tunnel zu legen. Bei jedem Läufer gibt es einen Piepton wenn er mit seinem, meist am Schuh befestigten, wo auch sonst, Messchip diese Matten überquert. Bei den Massen an Läufern also, gab es wirklich mal als die Sender noch einen Sendeschluss hatten, ein kontinuierlicher Testbildton. Hallo anhaltendes Piepen in einem Tunnel!

Aber auch das wird überstanden und es geht auf den Jungfernstieg zu. Dort standen dann auch wieder meine „Groupies“. Nicole lief sogar ein paar Meter nebenher mit um mich zu fragen wie es mir ging und ich muss sagen es ging mir da noch sehr gut. Ich lief also noch richtig und war aufgeregt, weil ich der, bis dahin, für mich magischen Grenze von 21 km immer näher kam.

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Vorbei war dann auch mal schnell das Vier Jahreszeiten, es ging über die Alster auf die Sierichstraße zu, wo die 21km-Marke wartete.

Sie kam auch und wurde „abgeklatscht“. Es war ein innerer Sieg für mich, denn es ging mir gut und ich war mir sicher das ich es bis zur 30km-Marke schaffen würde. Was mir jedoch Probleme bereitete war das Energiegel von Dextro-Energie. Es ging, obwohl so flüssig das man nichts dazu trinken muss, arg auf den Magen und ich konnte nie mehr als Minischlucke nehmen, denn mir wurde arg schlecht davon.

Dann kam doch ein kleiner Dämpfer, die Sierichstraße ist arg lang und vor allem arg gerade. Nicht sehr angenehm so lange gerade Strecken. Also lieber mal links oder rechts schauen. Ja und da kommt dann auch mal die Fehlerquelle hoch. Auf der Karte ist der obere Teil der Laufstrecke ja doch recht klein. Also dachte ich dann noch, als ich den Fernsehturm sehen konnte, ach so lang kanns ja nicht mehr sein. Gut sicherlich ein Fehler der nicht weiter schlimm ist und ehr von Vorteil für den Kopf ist. Doch als ich dann weiter auf der Strecke ein Straßenschild sah auf dem der Flughafen ausgeschildert war musste ich mir doch innerlich die Hand vor die Stirn hauen und lachen.

Aber das war nicht alles, denn so langsam begannen die Zipperlein des nicht gut Vorbereiteten. Irgendwo in der City Nord ging ich den ersten Kilometer, kam jedoch wieder rein in den Lauf. Etwas weiter nutzte ich dann noch die Chance und ließ mir die Waden massieren und das wirkte Wunder!

Es lief dann wieder richtig gut und in Eppendorf dachte ich dann auf der Strecke das mir die Gegend bekannt vorkommen würde und als dann in der Menge Elisabeth stand und mich fotografierte und anfeuerte wusste ich auch warum mir das so bekannt vorkam.

Bei Kilometer 36-37 kam dann von hinten allerdings doch mein innerer Schweinhund angerannt. Hatte das blöde Mistvieh mich doch eingeholt. Ich konnte einfach nicht mehr und schließlich ging ich dann doch weitere 3-4 km.

Kurz vor dem Dammtorbahnhof allerdings bekam der blöde Kerl dann doch einen gewaltigen Tritt von mir und ich lief wieder, Auch weil ich 2 Dinge im Kopf hatte:

1.) och ist ja nicht mehr weit. Wie gut man doch im Verdrängen ist….grins

2.) INS ZIEL WIRD GELAUFEN UND NICHT GEGANGEN!!!

Ja da war der Ehrgeiz dann doch noch gekommen ;-)))

Es waren dann doch noch 2,195km im Minimum und die wurden zwar irgendwie lang, waren aber auch die schönsten, ich lief diese Kilometer!

Ich war noch auf der Strecke, kein Abbruch, kein Gehen auf den letzten Kilometern. Was für ein Gefühl!

Dann kam das Ziel immer näher. Es wurde in mir immer aufgeregter und emotionaler. Ich sprach in Gedanken zu meiner verstorbenen Tante: „Dodo wir haben das gleich geschafft“ und dann kam der rote Teppich und die Tränen.

Was diese Tränen alles ausdrückten kann ich nicht annähernd beschreiben. Stellt Euch einfach vor Euer größter Traum geht in Erfüllung.

Ich nahm nur kurz meine Groupies wahr am Rand die mich mit ins Ziel „schoben“ mit ihrem letzten Rufen und dann hatte ich es wirklich geschafft!

Ich hatte den Marathonfluch und mich besiegt, meine Grenzen erweitert und mich innerlich sehr verändert. Gut, besonders letzteres wurde mir erst später und bis heute noch bewusst.

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Ich bekam meine Medaille und war, trotz vieler andere Läufer, ganz alleine mit mir. Völlig fokussiert auf mich, auf mein Inneres und meinen Körper. Ich fühlte mich kaputt und zerschlagen, aber auch unglaublich gut.

Gut auf meinem Grabstein kann nun nicht mehr, wie bei Murakami, „Wenigstens ist er nie gegangen“ stehen, aber etwas anderes kann dort stehen: „Er hat sich von eigenen Grenzen nie aufhalten lassen“

2 Replies to “29. Hamburg Marathon – Der Lauf”

  1. Lieber Till,

    wenn ich Deinen Text lese, kommen die Tränen wieder, die ich auch bei Deinem Zieleinlauf vergossen habe. Ich bin bzw. wir sind wahnsinnig stolz auf Dich. Auf Deine Leistung, Deine Konsequenz und auf den eisernen Willen, den Du gezeigt hast. Obwohl es im Grunde ein Individualsport ist, so hat es uns doch als Gruppe noch mehr zusammen geschweißt – zumindest empfinde ich es so. Die Erfahrung und die persönliche Entwicklung, die Du mit jedem Schritt genährt hast, kann Dir keiner mehr nehmen und sie wird Dich Dein Leben lang mit wachsender Weisheit begleiten. Hab Dich lieb :-* Davina

  2. Mein lieber Til,
    nachdem wir eben 2 Stunden gequatscht haben – Deine Tipps zu meinem ersten Halbmarathon nächste Woche Sonntag waren fabelhaft – schmökere ich nun durch deinen Blog. Unglaublich geschrieben, unglaublich schön und vor allem kann ich gerade meinen eigenen Halbmarathon nicht erwarten. Ich will jetzt sofort starten! Das macht Lust auf das überwinden eigener Grenzen!
    Unglaublich was du geschafft hast, ich freu mich sehr für dich!
    LG Franzi

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